Medizin-Professor: So belastet die Corona-Quarantäne Körper und Geist

Innsbruck (Tirol) – Was es bei den aktuellen Quarantäne-Maßnahmen aus psychoneuroimmunologischer Sicht zu beachten gilt, erklärt Prof. Dr. Dr. Christian Schubert von der Klinik für Medizinische Psychologie an der Medizinischen Universität Innsbruck. „Gerade jetzt brauchen Menschen ein starkes Immunsystem. So gesehen, können die derzeitigen Quarantäne-Maßnahmen auch kontraproduktiv sein, etwa, wenn Menschen dabei depressiv werden oder eine Angsterkrankung entwickeln und die antivirale Immunaktivität unterdrückt wird“, warnt der renommierte Arzt und Psychologe im Gespräch mit ALPENmag und sagt: „Es gilt jetzt dringend zu berücksichtigen, was schon Louis Pasteur, der Begründer der medizinischen Mikrobiologie, auf seinem Sterbebett sagte: Die Mikrobe ist nichts, der Wirt ist alles. Wir sind der potenzielle Wirt des neuen Corona-Virus und von unserer Konstitution hängt es ab, ob und wie gefährlich das Virus für unsere Gesundheit ist.“

Der Mensch ist ein soziales Wesen

Grundvoraussetzungen für ein starkes Immunsystem sind, so der Psychoneuroimmunologe, eine positive psychische Befindlichkeit und gute zwischenmenschliche Beziehungen (auch auf Distanz). „Der Mensch ist ein soziales Wesen. Einsamkeit und Ängste sorgen für negativen Stress, belasten das Immunsystem und fördern die Anfälligkeit gegenüber Atemwegsinfekten – das ist empirisch klar bewiesen.“

Es birgt also durchaus auch Gefahren in sich, wenn die Restriktionen zur Bekämpfung des neuen Corona-Virus zu extrem sind, erklärt der Professor mit Blick auf Tirol, wo mittlerweile sogar Bergwanderungen und Skitouren verboten sind und die eigene Gemeinde nicht mehr verlassen werden darf.

„Es ist auf jeden Fall richtig, den unmittelbaren Kontakt zu anderen Menschen einzuschränken und Veranstaltungen abzusagen, aber es gilt auch zu beachten, dass es aus medizinisch-psychologischer Sicht gefährlich werden kann, wenn ältere oder alleinlebende Menschen isoliert und in Einsamkeit leben müssen oder Familien über Wochen hinweg auf engstem Raum in Quarantäne verharren.“

Bewegung, frische Luft, Sonne und Natur stärken das Immunsystem

Ein Rat des Experten: „Bewegung, frische Luft, Sonne und Natur – am besten gemeinsam mit Vertrauten, das alles kurbelt den Stoffwechsel an und stärkt das Immunsystem.“ Da man beim Spaziergehen anderen Menschen in der Regel auch nicht zu nahekomme, sei eine Ansteckungsgefahr praktisch ausgeschlossen. 

Insbesondere Spaziergänge im Wald würden sich positiv auf Körper und Geist auswirken, hätten Studien in Japan gezeigt. Beim Spazieren im Wald soll unter anderem die Bildung von natürlichen Killerzellen angeregt werden, die nachweislich vor Atemwegsinfektionen, wie sie Covid-19 darstellt, schützen. Dabei scheinen vor allem drei Mikrostoffe in Pflanzen gesundheitsförderlich zu sein, die Phytonzide, Terpene und Terpenoide.

„Die Sonne ist wichtig für uns, da unser Körper über das Sonnenlicht das lebenswichtige Vitamin D herstellt, das wiederum für ein gut funktionierendes Immunsystem unabdingbar ist. So können bei Vitamin-D-Mangel vermehrt Abwehrschwächen und Infektanfälligkeiten auftreten. Außerdem ist Vitamin D gerade bei Kindern essentiell für die Knochenbildung“, warnt Prof. Schubert davor, nicht ins Freie zu gehen.

Geben Sie Ihrem Alltag Struktur

Ein weiteres Problemfeld, das die Psyche betrifft, sei derzeit die Arbeitswelt. Viele haben zum Beispiel existentielle Ängste, stehen vielleicht vor der Schließung des eigenen Familienbetriebs. Andere wiederum leisten für wenig Lohn und unter großer Infektionsgefahr Knochenarbeit. All das kann enormen Stress bedeuten, das Immunsystem schwächen und die Infektionsgefahr erhöhen. Aber auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Selbstständige und Unternehmerinnen und Unternehmer, die jetzt Home-Office machen müssen, sei die Lage schwierig. „Wer dann auch noch kleine Kinder daheim hat, stößt schnell an seine nervlichen Grenzen“, erklärt Prof. Schubert. Sein Tipp: „Es kann helfen, für die ganze Familie Routinen zu vereinbaren und dem Tag Struktur zu geben. Also zu einer bestimmten Zeit aufzustehen, sich anzuziehen und feste Zeiten am Schreibtisch zu verbringen und eben nicht den ganzen Tag im Schlafanzug zu bleiben. Dazu gehören aber auch Pausen und der Feierabend, den man dann hoffentlich entspannt mit der Familie genießt.“

Menschen, die jetzt unter irrationalen Ängsten leiden, rät Prof. Schubert, sich aus seriösen Quellen zu informieren. „Richtig informiert zu sein, baut Angst ab“, so der Experte. Wer alleine keinen Ausweg findet, der solle sich nicht scheuen, professionelle Hilfe anzunehmen. Dieser Ratschlag gelte übrigens auch beim Thema Gewalt in der Familie. „Auch diese Ausnahmesituation rechtfertigt keine Übergriffe und deshalb sollte unter keinen Umständen Gewalt toleriert werden.“ Alle Hilfsangebote, wie zum Beispiel die Universitätsklinik für Medizinische Psychologie in Innsbruck, aber auch diverse soziale Einrichtungen wie Frauenhäuser und Männerberatungsstellen, seien weiterhin erreichbar. 

Die eigene Sichtweise ist entscheidend

Prof. Schubert: „Ob eine Situation gut oder schlecht ist, hängt auch immer von der eigenen Sichtweise ab. Für die allermeisten Menschen ist das Virus aus medizinischer Sicht keine Gefahr. Die Welt hat zwar gerade eine Vollbremsung hingelegt, aber das hat nicht nur negative Seiten. Die Situation birgt für viele Menschen auch die Chance, zur Ruhe zu kommen, wieder das zu tun, was Freude macht, mehr Zeit mit der Familie zu verbringen und den sonst stressbehafteten Alltag einmal kritisch zu überdenken. Es wird auch eine Zeit nach Corona geben, die möglicherweise besser ist, wenn wir aus der derzeitigen Krise die richtigen Schlüsse ziehen.“

Prof. Dr. Dr. Christian Schubert lehrt und forscht an der Medizinischen Universität Innsbruck  Foto: www.christian-schubert.at

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