Shitstorm gegen Tirol? Tobias Moretti redet Klartext

Innsbruck/Ischgl (Tirol, 2. April 2020) – Der Spiegel, ZDF, ARD, Bild – kein Tag vergeht, an dem nicht in deutschen Medien über das angebliche Versagen Tirols im Kampf gegen die Corona-Pandemie berichtet wird. So behauptet ausgerechnet Joachim Stamp, der stellvertretende Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, dem Corona-Epizentrum in Deutschland, in der Zeitung „Welt“: „Was in ganz Deutschland die Infektionsketten massiv in Gang gesetzt hat, waren die Urlaubsrückkehrer aus Italien und insbesondere aus Ischgl. Was dort gelaufen ist an Desinformation, wird sicher irgendwann schonungslos aufgearbeitet werden müssen. Es ist ekelerregend, wie dort der eigene wirtschaftliche Erfolg über Gesundheit und Leben von zig Menschen gestellt wurde.“

Dass in Italien und in Österreich bereits die ersten massiven Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie anliefen, wie die Absage des Karnevals in Venedig und die Absperrung ganzer Regionen, während in NRW noch fröhlich Karnveal gefeiert werden durfte, ficht den NRW-Politiker nicht an: „Das hätte auch eine Mottoparty sein können, die mit Karneval nichts zu tun hat. Dass der Karneval schuld sei, ist eine gängige Legendenbildung, die aber nicht zutrifft“, behauptet der deutsche Politiker.

Schauspieler Tobias Moretti machen solche durchsichtigen Schwarze-Peter-Spiele wütend. In einem emotionalen Facebook-Post bezieht der gebürtige Tiroler jetzt Stellung für seine Heimat. ALPENmag dokumentiert das Statement im Wortlaut:

„Das finde ich erbärmlich“: Tobias Moretti redet Klartext

Tobias Moretti: „Das finde ich erbärmlich“

Liebe Grüße an alle, wo ihr auch seid in Europa. In Frankreich, Italien, England, wo immer. 

Ich bin ja kein Facebookexhibitionist, aber die derzeitige Situation erfordert neben Stellungnahmen auch Haltung wie ich finde. Denn was in diesen Tagen bei uns passiert, ist ein Irrsinn, was das Image unseres Landes betrifft. Wir alle, nicht nur ihr, brauchen jetzt Solidarität, konstruktives Nach-Vorne-Schauen und nochmals Solidarität. Und nicht nur bei uns in Tirol und Österreich, sondern auch in den nördlichen Nachbarländern, in Deutschland, in Schweden und so weiter, die sich jetzt so eifrig mit den Klagen gegen unser Land einbringen, als wäre das Coronavirus in Tirol entstanden oder ein Tiroler Problem gewesen. Dass es Einzelfälle von Fehlverhalten gegeben hat, das mag sein, das wird so sein. Die muss man auch zu einem späteren Zeitpunkt unter die Lupe nehmen. Aber dass das Polarisieren der Interessensgruppen das jetzt zum Geschäft machen wollen, das finde ich erbärmlich, ehrlich gesagt! 

Ich habe vor zwei Wochen in Deutschland und Schweden gearbeitet und ich kann euch aus eigener Erfahrung sagen, dass man dort die Situation noch viel drastischer negiert hat. In Schweden tut man das zum Teil bis heute. Alle Auslandsösterreicher wurden damals aufgefordert, nach Hause zurückzukehren. Alle Schranken waren bei uns schon dicht. Man hat gewusst, was auf einen zukommt. Trotzdem hätte ein Arbeitsabbruch von Dienstnehmerseite drastische rechtliche Konsequenzen nach sich gezogen. 

Weder bei uns, noch in anderen schwedischen Dienstleistungsbetrieben, Restaurants, Hotels, öffentliches Leben, Verkehr, gab es irgendwelche Hygienevorschriften oder Abstandsregeln. Nicht mal bei der Leibesvisitation am Stockholmer Flughafen. Vor gut einer Woche wurde das Personal angehalten, irgendeine Form von Mundschutz zu tragen. 

Und dass nun deutsche Konsumverbände so tun, als wären das nur wir gewesen, das ist nicht nur falsch, sondern auch taktlos. Und das darf sich nicht rechnen. Vor allem ist Niemandem damit gedient. Oder damit geholfen. Das emotionalisiert nur, aber bringt keine Erkenntnisse. Außer vielleicht das Ablenken von eigenen Versäumnissen. 

Aber offensichtlich hat jede Extremsituation auch seinen Markt. Ja, ist so! Klarerweise waren es bei uns auch einige Politiker, die mit ihren leeren Sprachfloskeln – ja wie soll man sagen – daneben oder überfordert waren, wo es eine andere Dringlichkeit der Sprache gebraucht hätte. Dadurch haben sich auch einige in ihrer Sorge übergangen gefühlt. Sich auch empört, wie man nach dem ZIB 2 Interview mit Armin Wolf hat sehen können. Zu Recht! Aber trotzdem glaube ich, dass sich unsere Landesregierung und Bundesregierung nach bestem Wissen und Gewissen verhalten hat.

Wir sind in einer Situation, in der einen die Wirklichkeit im 12-Stunden-Rhythmus überrennt. Das ist so. Es gibt keine Erfahrungsgrundlage auf diesem Gebiet momentan, auf die man irgendwie zurückgreifen könnte. 

Ja, was ich für mich jetzt wirklich hoffe ist, dass wir aus den Erfahrungen lernen und nicht das übliche Denken des eigenen Vorteils oder Schuld oder wie immer ins Spiel bringen. Übrigens auch ein Grund des Schlamassels und uns mit Solidarität gegenseitig in Europa stützen, so dass das Nachher nicht wieder ein Vorher ist. 

Wo immer ihr gerade seid, passt auf euch auf. Bleibt gesund oder werdet gesund. Und bleibt solidarisch!

Tschau 

Tobias Moretti