Zusammenschluss der Skigebiete Ötztal und Pitztal auf der Kippe

Innsbruck (Tirol, 16. Januar 2020) – Paukenschlag im Kampf um den geplanten Zusammenschluss der Skigebiete Ötztal und Pitztal: Auf Ersuchen der Pitztaler und Ötztaler Gletscherbahnen ist die für nächste Woche anberaumte mündliche Verhandlung im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung heute überraschend abgesagt worden. Der Grund: Der Rückgang der beiden Gletscher in den vergangenen Jahren ist so massiv, dass die zuständigen Behörden eine Aktualisierung der Planungen aus dem Jahr 2016 verlangen.

Die Fernerkoglbahnen II und III bilden die Verbindung vom Zentrum im Pitztal zum Tiefenbachgletscher in Sölden. Foto: https://www.pitztal-oetztal.tirol/de/das-projekt/

„Wir möchten und werden diesen neuen Anforderungen vollumfänglich nachkommen. Es ist uns insbesondere ein Anliegen, die absehbaren Veränderungen durch den Gletscherrückgang transparent zu beschreiben. Allerdings verlangen die benötigten neuen Unterlagen einer grundlegenden Erörterung der Projektdetails mit Fachplanern und Fachgutachtern. Dazu ist eine neuerliche, fundierte planerische Annäherung an wesentliche Teile unseres Vorhabens nötig. Das macht auch weitere Vor-Ort-Besichtigungen im Frühjahr notwendig. Aus diesem Grund haben wir beim Land Tirol eine Vertagung der mündlichen Verhandlung im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung beantragt“, erklären Eberhard Schultes, Geschäftsführer der Pitztaler Gletscherbahn sowie Walter Siegele, Geschäftsführer der Ötztaler Gletscherbahn in einem gemeinsamen Statement.

Die grundsätzliche Bereitschaft und Absicht, den Zusammenschluss der beiden Gletscherskigebiete zu realisieren, bleibt ungeachtet der beantragten Verschiebung aufrecht. „Wir werden nun die beantragten Unterlagen ausarbeiten und beim Land Tirol einbringen. Anschließend kann die zuständige Behörde über einen neuerlichen Termin für eine mündliche Verhandlung befinden“, erklären Schultes und Siegele.

In den vergangenen Jahren sind die Gletscher massiv zurückgegangen. Foto: DAV

Die Kritiker reagierten umgehend auf die Absage. „Wir begrüßen diesen Schritt und sehen uns in unseren Argumenten bestätigt. Gletscherlandschaften sind hochsensible nicht regenerierbare Lebensräume, die besonderem Schutz bedürfen,“ betont Andreas Ermacora, Präsident des Österreichischen Alpenvereins.

„Nach dieser Absage ist nicht nur mit einer massiven Verzögerung zu rechnen, sondern das gesamte Vorhaben ist damit in Frage gestellt“ betont auch Josef Klenner, Präsident des Deutschen Alpenvereins. Die Alpenvereine gehen davon aus, dass die angesprochenen weiteren Erhebungen vor Ort zeigen werden, dass aufgrund des fortschreitenden Gletscherrückgangs derartige Projekte nicht zukunftsfähig sind.

Die Argumente der Befürworter

Attraktivität entscheidet

Alle seriösen Umfragen belegen: Die Größe eines Skigebietes ist das erste Kriterium bei der Buchung eines Winterurlaubes. Schneesicherheit und Höhe gelten als zweitwichtigste Buchungsargumente bei Wintersportlern. All das bieten Pitztal und Ötztal gemeinsam. Vereint wären die Skigebiete, die auf über 2.500 Metern beginnen, nachhaltig attraktiver und konkurrenzfähiger.

Nachbarschaft in Sichtweite

Die Liftanlagen des Pitztals sind von Ötztaler Seite aus gut sichtbar und umgekehrt ebenso. Die Geländestruktur zwischen den beiden Gebieten legt einen skitechnischen Zusammenschluss nahe. Das Projektgebiet liegt schon jetzt im Zentrum eines touristisch voll erschlossenen Gebietes. Der gesamte Zusammenschluss befindet sich innerhalb der definierten Skigebiets-Grenzen.

Wenig Ressourcenverbrauch, großer Effekt

Die Pitztaler Gletscherbahn könnte durch einen Zusammenschluss ihr Angebot von derzeit 82,8 ha Pistenflächen deutlich erweitern. Der Zusammenschluss mit Sölden würde Gästen des Pitztaler Gletschers zukünftig 572,2 ha Pistenflächen eröffnen. Dafür nötig wäre lediglich die Erschließung von zusätzlichen 58 ha Pistenflächen auf Gletschern. Diese 58 ha entsprechen 0,6 % (!) der gesamten Gletscherflächen in St. Leonhard i. P. und Sölden.

 Gesicherte Lebensgrundlage zweier Täler

Der Tourismus bildet in beiden Tälern die entscheidende ökonomische Lebensgrundlage. Gäste im Pitztal und Ötztal steuern das Gros der Wertschöpfung bei. Sie bringen seit Jahren vernehmbar für alle Gastgeber ihren Wunsch nach einem Zusammenschluss zum Ausdruck.

Impuls für wichtigsten Wirtschaftszweig

Der Großteil der Umsätze aller Unternehmen im Pitztal wird von Bergbahnen, Beherbergungsbetrieben, Gastronomie, Skischulen und Sportartikelhändlern erwirtschaftet. Wie jede andere Branche sind auch diese Tourismusbetriebe auf Weiterentwicklung angewiesen – ganz besonders im strukturarmen Pitztal.

Keine Ausschlussgründe

Während der gesamten, hochkomplexen Planungsphase wurde von spezialisierten Fachplanern kein einziger Ausschlussgrund erkannt, der gegen einen Zusammenschluss sprechen würde.

Negativ-Spirale im Pitztal stoppen

Das Pitztal befindet sich in einer negativen regionalwirtschaftlichen Spirale. Sie ist gekennzeichnet durch fortwährend sinkende Nächtigungszahlen, hohe Arbeitslosigkeit, Abwanderung und steigende Auspendlerzahlen. Das Kommunalsteueraufkommen der Pitztaler Gemeinden liegt ein Drittel unter dem Bezirksschnitt. Ein attraktives Großskigebiet wäre die wirkungsvollste Wirtschaftsförderung.

Die Argumente der Gegner

Der geplante Zusammenschluss der Gletscherskigebiete Pitztal – Ötztal ist ein massiver Eingriff in die hochalpine Natur der Ötztaler Alpen. Gerade in Zeiten von Klimawandel und Gletscherschwund gilt es, die Reste dieser Urlandschaft zu bewahren. Die vorgesehenen Maßnahmen gehen weit über einen reinen Zusammenschluss hinaus und sehen die Neuerschließung von drei bisher unberührten Gletschern vor. Die Bürgerinitiative Feldring fordert von der Tiroler Landesregierung den sofortigen Stopp des Projekts.

Die wichtigsten Einwände des Deutschen Alpenvereins und des Österreichischen Alpenvereins

  • Totalverlust einer naturnahen hochalpinen Landschaft:Eine naturnahe und charakteristische alpine Landschaft wird durch den Umfang und die Dimension der Baumaßnahmen komplett technogen überformt. 80 m hohe Seilbahnstützen, exponierte Seilbahnstationen, ein Speicherbecken und künstlich eingeebnete Gletschervorfelder: die Landschaft wird hier unwiederbringlich zerstört.
  • Gravierende Abwertung und Verlust eines alpinen Lebensraums: für die sensible (hoch-)alpine Flora und Fauna sind Geländekammern wie am Linken Fernerkogel wichtige Lebensräume. Das Vorhaben wird zu einer gravierenden Abwertung und in vielen Bereichen ebenfalls zu einem kompletten Verlust der Lebensräume führen. 
  • Totalverlust eines (Ski-)Tourengebiets und Hüttenstützpunkts: Aktuell ist das Tourengebiet rund um die Braunschweiger Hütte attraktiv für Mehrtagesgäste und als Tagesziel. Duch die komplette Erschließung des Linken Fernerkogels und der Gletscherflächen wird das Hochtourengebiet gänzlich an Wert verlieren; die Braunschweiger Hütte als Stützpunkt ebenfalls.
  • Spekulative Pläne und Wirtschaftlichkeit durch Klimawandel und Gletscherrückgang: Bis Mitte des Jahrhunderts wird von den Gletschern im Projektgebiet mehr als die Hälfte der Fläche verschwunden sein, in den darauffolgenden Jahrzehnten werden Mittelbergferner & Co. gänzlich abgeschmolzen sein. Doch genau auf diesem rasant dahinschmelzenden Gletschereis basiert die Planung und das Ablaufdatum des Gletscherskifahrens ist nicht mehr weit entfernt. Ob und mit welchem Aufwand die Pisten trotz abgeschmolzener Gletscher erhalten werden können ist ebenso unklar, wie ob das Skigebiet ohne Gletscher auch noch wirtschaftlich betrieben werden kann. 
  • Fehlendes Konzept für Mobilitätsfrage: Ganz sicher kommen sowohl Pitzal und Ötzal jetzt schon durch die extreme Verkehrsbelastung an Wochenenden und Ferienzeiten an oder über die Belastungsgrenzen. Der Zusammenschluss wird gerade in diesen Ballungszeiten noch mehr Verkehr initiieren. Ein Konzept, wie mit zusätzlicher Verkehrsbelastung umgegangen werden kann, gibt es nicht. Auch sind durch die engen Täler weitere Ausbaumaßnahmen so gut wie nicht möglich.
  • Negative Auswirkungen auf den Sommertourismus: Der absolute Verlierer von allen oben genannten Punkten ist der Sommertourismus. Durch den Verlust der Landschaftskammer am Linken Fernekogl geht ein wichtiger Baustein für eine nachhaltige Tourismusentwicklung im Pitztal verloren. Noch führt der berühmteste Fernwanderweg E5 vom Pitztal via Braunschweiger Hütte auf der sogenannten „Königsetappe“ ins Ötztal. Rund 50-70% der E5-Asprianten übernachten dabei nicht auf der Braunschweiger Hütte, sonden in St. Leonhard oder Wenns in Pensionen und Hotels. Der zu erwartende Attraktivitätsverlust des Tourengebiets oben wird negative Auswirkungen im Tal unten haben.