SÜDTIROL: „WETZN GUSTL, WETZN!“

Feldthurner Bergwoche: Nach dem  Mittagessen wird getanzt, Foto: Annelies Leitner

Von Heiner Sieger

(www.schönessüdtirol.de)

Bei der 1. Feldthurner Bergwoche lebt eine vergessene Tradition wieder auf – das Almmähen mit der Sense nach Großväter Sitte.

In schnellen rhythmischen Bewegungen zieht der Gustl seinen Wetzstoan über die Sensenklinge. Unter seinem Sennerhut läuft ihm der Schweiß über die Stirn. Er wetzt, was das Zeug hält.

Altbauer Johann Dorfmann mit seiner antiken  Sensenscheide, Foto: Heiner Sieger

„Wetzn Gustl, wetzn!“, wird er angefeuert von sieben Bergkameradinnen und Kameraden um ihn herum. Gustl findet tatsächlich noch Luft für ein breites Lachen. „Ihr kennts es ja selber besser moachen!“

Schließlich ist er fertig mit dem Wetzn und lässt die frisch geschärfte Sense wieder gleichmäßig durch das hohe Almgras sausen. Auch die Kameraden machen sich erneut an die Arbeit. Schließlich wollen sie bis zum Nachmittag die gesamte Wiese mit ihren Sensen fertig geschnitten haben.

Was sich nach harter Arbeit anhört, ist es auch. 

Aber eigentlich steht der Spaß im Vordergrund bei der „1. Feldthurner Bergwoche“. Rund 20 Einheimische haben sich im vergangenen August zum ersten Mal zusammengetan, um eine vergessene Tradition wieder aufleben zu lassen: Das Almmähen nach alter Großväter Sitte.

Bei der Feldthurner Bergwoche bereiten die  Bäuerinnen Südtiroler Kasknödel nach  Großmutter Art zu, Foto: Heiner Sieger

Egal ob Mann oder Frau, jung oder alt: Bis in die 1970er-Jahre wurden alle Menschen am Hof für diese wichtige Arbeit auf den steilen Bergwiesen benötigt, wenn auf den Bergbauernlehen und

Almen rund um die Künstlerstadt Klausen die Heuernte anstand. Ob als „Moder“ oder „Rechner“, „Bockvoter“ oder „Tschogger“ – mit

vereinten Kräften mussten in kürzest möglicher Zeit die steilen Bergwiesen mit der Sense gemäht, mit dem Rechen zusammengezogen und in die Tenne eingebracht werden. Zu groß war die Ungewissheit, ob nicht ein herannahendes Unwetter die Heuernte zunichte machen würde. Und gemeinsam ging die harte Arbeit einfach schneller von der Hand.

Um Sieben in der Früh gibt’s Sylvaner als Wegzehrung. 

Ohne Wein gehen die Südtiroler nicht auf den  Berg – der Sylvaner schmeckt auch schon um  Sieben in der Früh, Foto Annelies Leitner

„Es gibt viele in der älteren Generation, die die Verbindung zur Natur, das Arbeiten und Schwitzen aus der Kindheit noch kennen und auch suchen“, erzählt Christian Kerschbaumer, der auch Tourismusdirektor von Feldthurns ist. „Das wollen wir jetzt wieder aufleben lassen. Hier gibt es noch Einige, die selber eine Sense in die Hand nehmen und anderen zeigen können, wie das geht. Wir machen da kein Volksfest daraus, keine hunderte Menschen. Sondern nur einige Leute, die eine Freude daran haben, so wie ihre Großeltern auf der Alm zu arbeiten.“

Die Gruppe ist bunt gemischt: Kellermeister, Hotelier, Manager, Vizebürgermeister, Hausfrau, Grafikerin – alle sind mit von der Partie. Altbauer Johann Dorfmann vom Obermoserhof ist mit 83 Jahren der Älteste. Keiner der anderen, die seine Söhne oder Enkel sein könnten, ist derart flink und präzise an der Sense wie er. Gelernt ist eben gelernt.

Seine Sensenklinge hat der Johann in einer alten, handbemalten Scheide auf die Alm getragen. „Die hot mir 1944 unser Knecht in die Hand gedrückt, als er in den Kriag musste. ‚Wann i nimmer heimkumm, isch es Deine’, hot er gesagt. Er isch nimmer kemman.“

Heuen ist eines der besten  Fitnesserlebnisse, Foto: Annelies Leitner

Um sechs Uhr in der Früh haben sich alle Teilnehmer, ausgerüstet mit Sensen, Rechen, Rucksack, Leibkittel, Krachlederner und dem typischen blauen Südtiroler Schurz beim Garner Parkplatz getroffen und sind losmarschiert. Auf halben Weg nach etwa einer Stunde gibt es eine Rast unterm Marterl auf einer Waldlichtung.

Kellermeister Thomas entkorkt zwei Flaschen Eisacktaler Sylvaner, die schnell geleert sind. Wegzehrung für den restlichen Anstieg zur Glanger Alm. „Wir gehen nie ohne einen Wein auf den Berg“, erklärt er mir, als ich mich über den zeitigen Frühschoppen wundere.

Der Autor Heiner Sieger beim Heuen, Foto:  Annelies Leitner

Trotzdem hat Thomas ein gespielt schlechtes Gewissen: „Eigentlich dürfte ich gar nicht mitgehen da herauf. Mein Vater war vor 35 Jahren der Erste im Eisacktal, der eine elektrische Sense gekauft hatte”, scherzt er.

Frühstück wie zu Großelterns Zeiten: Milch und Brocken. 

Kurz vor Acht erreichen wir unser Ziel. Bevor es zur Arbeit auf die Wiese geht, setzen sich erst mal alle um den frisch gedeckten Holztisch in der Glanger Alm. Die Bäuerinnen haben schon eine traditionelle, deftige Almkost mit Milch und Brocken – garantiert nicht kalorienreduziert – aufgefahren, damit später auch alle bei Kräften bleiben.

Anschließend werden die Sensen gerichtet – wichtig ist, dass die „Flucht“ stimmt. Das ist die Schnitttiefe, die mit jedem Ausholen der Sense zustande kommt. „Der Winkel zwischen dem Worb (Sensenschaft) und der Sensenschneide bestimmt die Schnitttiefe, da hat jeder Senser seine Vorliebe“, erzählt Andreas Sigmund, der im Nebenberuf Obst- und Weinbauer ist. „Je breiter der Schnitt ist, desto mehr Gras wird pro Schnitt abgemäht. Je nach Grashöhe kann man das regulieren. Auf der Alm haben wir eher niedriges mageres Gras, deswegen stellen wir die Sense auf einen mittleren Schnitt. Wenn man sie zu weit nach vorne stellt, reißt sie nach vorne und man ist nicht imstande die gesamte Schnittlänge durchzuziehen und braucht mehr Kraft.”

Medizinisch erwiesen: Heuen ist eines der besten Fitnesserlebnisse.

Heuen ist eines der besten  Fitnesserlebnisse, Foto: Annelies Leitner

Gesagt, getan. Nach dem Andreas auch meine Sense gerichtet hat, geht es endlich auf die Wiese, hinter der Almhütte, um eine Heuernte wie vor 50 Jahren einzubringen. Ein einzigartiges Erlebnis, am eigenen Leib zu erfahren, wie arg die Bergbauern ackern mussten. Aber man lernt auf einen Schlag auch den respektvollen Umgang mit der Sense. Natürlich geht es bei den drei mitgekommenen Gästen nicht ohne Malheur ab, zu Beginn schießt das Sensenmesser immer wieder mal in die Erde. „Das kann eben nicht jeder“, lacht Andreas, der längst zu meinem Sensen-Mentor geworden ist. Er selber hat noch in der Jugend die Sense geschwungen. „Du kannst nicht einfach die Sense in die Hand nehmen und mähen, das haut nicht hin.”

Johann Dorfmann dagegen ist in seinem Element. Wie das Messer durch die Butter saust seine Sense durch die kräftigen Kräuter, Blumen und Gräser hier oben auf der Glanger Alm.

Heuen ist eines der besten  Fitnesserlebnisse, Foto: Annelies Leitner

Wusch, wusch, wusch – Meter um Meter schreitet Johann voran und lässt mit jedem weiten Schwung seiner Sense einen großen, frisch geschnittenen Haufen hinter sich. Beim Mähen, da macht Altbauer Johann keiner etwas vor – auch nicht von den Jungen, die mit seinem Tempo nicht Schritt halten können. Gelernt ist eben gelernt.

„Schon damals hat halt niemands letzter sein wollen“, erinnert sich der 83-Jährige.Das steckt ihm noch heute in Fleisch und Blut. Das Heuen ist eines der besten Fitness-Erlebnisse, Übung macht den Meister und nach einer halbe Stunde habe ich den Bogen raus. Puh – Büroarbeit ist ganz was anderes… Aber der Duft des frisch geschnittenen Grases, der grandiose Ausblick auf die herrliche Bergwelt der Dolomiten, die friedlich grasenden Kühe und so mancher derbe Scherz mit den schwitzenden Kameraden verschaffen mir das Gefühl, ganz bei mir selbst und genau zur rechten Zeit am richtigen Ort zu sein.

Zum Mittagessen waren die Bäuerinnen wieder  eifrig und haben vor der Alm eine lange Tafel  vorbereitet, dekoriert mit ein paar Sträußen  bunter Wiesenblumen. Foto: Annelies Leitner

Zum Mittagessen waren die Bäuerinnen wieder eifrig und haben vor der Alm eine lange Tafel vorbereitet, dekoriert mit ein paar Sträußen

bunter Wiesenblumen. Aus großen Kesseln schöpfen sie Plentene Knödel, Kaspressknödel und deftigen Krautsalat. „Wir haben das medizinisch durchleuchtet und festgestellt, dass Heuen eines der besten Fitness-Erlebnisse ist. Man stiftet Nutzen, trainiert den ganzen Körper, ist konzentriert, schaltet total ab und hat daher das beste Erholungserlebnis“, erzählt mir Christian Kerschbaumer mit einem breiten Lachen.

Nach der Mahlzeit wird es dann zünftig: Almwirt Georg Oberhofer packt seine „Quetschen“ aus und spielt und singt Südtiroler Volkslieder. Während einige der Männer im Gras liegen und in die Sonne blinzeln, ruft die 77-jährige Maria „Damenwahl“ und greift sich einen der jüngeren Burschen zum Tanz.

Die Nacht verbringen alle im Heu der Glangerschupfe. 

Nach getaner Arbeit schmeckt das Essen aus  der gemeinsamen Muspfanne, Foto: Annelies  Leitner

Nach zwei weiteren zwei Stunden zum Sensenschwingen und Rechen in der nach einer Regenschauer dampfenden Wiese heißt es am späten Nachmittag: Schlafplätze herrichten. Die Nacht verbringen alle mit Leintuch, Schurz und Schlafsack im Heu der Glangerschupfe. Doch vorher marschiert die gesamte Mannschaft noch eine gute halbe Stunde weiter rauf zur Radlsee-Hütte. Hier wird zu Abend gegessen, getanzt, gesungen und gefeiert wie anno dazumal, mit: Muaßpfonne, Rippelen mit Kraut, Bratl mit Erdäpfel. Und natürlich ausgiebig rotem und weißem Wein. Das Wasser kommt frisch von der Quelle.

Vollmond über der Glanger Alm, Foto:  Annelies Leitner

„Wir bieten unseren Gästen in den Hotels jeden Tag ein fünfgängiges Menü“, vertraut mir Tourismus-Chef Kerschbaumer an. „Doch wenn ich mit den Gästen mal zu einem Bauern gehe und wir dort einen einfachen Speck mit Schüttelbrot essen, ist das für Viele das eigentliche Highlight des Urlaubs.“ Da mag er Recht haben, es geht einfach nichts über die Magie von Ursprünglichkeit und Natur. Als geballtes Erlebnis wie auf der Feldthurner Bergwoche sind sie fast ein Gottesgeschenk.

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