Südtirol: Haben die Touristen das Coronavirus selbst eingeschleppt?

Bozen (Südtirol, 6. März 2020) – Große Empörung in Südtirol hat die Coronavirus-Warnung des deutschen Robert Koch-Instituts ausgelöst. Wie ALPENmag berichtete, hat das RKI gestern am späten Abend plötzlich Südtirol als Risikogebiet eingestuft. Südtirol wird damit auf die gleiche Gefahrenstufe gestellt wie die chinesische Provinz Hubei inklusive der Stadt Wuhan, die betroffenen Gebiete im Iran und Südkorea sowie die italienischen Regionen Emilia-Romagna, Region Lombardei und die Stadt Vo in der Provinz Padua in der Region Venetien. 

Am Freitag hat dann das Auswärtige Amt die Warnung des RKI übernommen und empfiehlt ebenfalls, „nicht notwendige“ Reisen unter anderem nach Südtirol zu unterlassen. Entgegen anderslautender Berichte in den Medien hat das Auswärtige Amt aber keine Reisewarnung ausgesprochen, sondern nur einen Reisehinweis veröffentlicht.

In jeder Jahreszeit ein lohendes Reiseziel: Südtirol Foto: IDM Südtirol/Helmuth Rier“

Von einem „touristischen Super-Gau“ spricht man mittlerweile im Hotel- und Gaststättenverband (HGV) in Südtirol und fühlt sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. Viele Buchungen werden jetzt storniert und aktuell stehen die Osterferien vor der Tür, die viele Touristen aus Deutschland für eine Reise nach Südtirol nutzen.

Die aktuellen Zahlen scheinen diesen Vorwurf zu untermauern. Ebenfalls gestern Abend hat der italienische Katastrophenschutz in seinem täglichen Lagebericht von lediglich 7 Corona-Erkrankungen in der Region Trentino-Alto Adige (Trentin und Südtirol) gesprochen. 

Das Robert Koch-Institut geht von höheren Zahlen aus, rechnet aber deutsche Urlauber mit ein, die nach der Rückkehr aus einem Urlaub in Südtirol mit dem Coronavirus infiziert sind. 

NRW hat 50 Mal mehr Coronainfektionen

Die Frage ist, wo sich diese Menschen infiziert haben? Möglicherweise, so glaubt man in Südtirol, bereits vor der Reise in den Süden. Viele dieser Touristen kommen aus Nordrhein-Westfalen, dem Brennpunkt der Corona-Krise in Deutschland. Hier gibt es aktuell 324 nachgewiesene Coronainfektionen, also 50 Mal mehr als in der Region Trentino-Alto Adige – übrigens ohne, dass das RKI das Bundesland NRW bislang als Risikogebiet einstuft.

Bereits mitten im Ausbruch der Corona-Epidemie in Europa hatten die Behörden in NRW nur sehr langsam auf die Krise reagiert. Während in Venedig der weltberühmte Karneval abgesagt, ganze Regionen in Norditalien gespert und Fußballspiele ohne Zuschauer ausgetragen wurden (ALPENmag berichtete), feierte man in Köln, Düsseldorf und anderswo in NRW ungeschützt Karneval.

Tage später breitete sich dann das Coronavirus in NRW rasent schnell aus. Der erste Brennpunkt im Kreis Heinsberg lässt sich klar auf eine Karnevalsveranstaltung als Ursprung zurückverfolgen. Dennoch werden bis heute auch die Spiele der deutschen Fußball-Bundesliga in NRW und den anderen Regionen nach wie vor und ohne jede Einschränkung ausgetragen – mit Zehntausenden von Zuschauern auf engstem Raum.

„Wir haben die Corona-Lage unter Kontrolle“

Warum man gerade in NRW so langsam reagierte, könnte auch in der deutschen Innenpolitik begründet sein. Der Ministerpräsident von NRW, Armin Laschet, kandidiert als Parteivorsitzender der CDU und möchte Bundeskanzlerin Angela Merkel als Regierungschef beerben. Sein Stellvertreter soll Jens Spahn werden, der aktuell Bundesgesundheitsminister ist und ebenfalls aus NRW kommt. Da wären drastische Maßnahmen, wie eine Absage des Karnevals, eher hinderlich. Deshalb behauptete Armin Laschet noch am 26. Februar in einem Interview mit der Bild-Zeitung „Wir haben die Corona-Lage unter Kontrolle.“

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet am 26. Februar 2020 gegenüber der Bild-Zeitung

Diese These, dass das Coronavirus möglicherweise von Urlaubern nach Südtirol eingeschleppt wurde, untermauert auch ein Fall in Österreich. In Obertauern meldete sich ein Touristin aus Köln mit dem Verdacht auf eine Coronaansteckung in einer Hausarztpraxis. Der Test war positiv. Die Frau wurde mit ihrem Mann im Sanka zurück nach Köln gefahren, und die Hausarztpraxis steht jetzt für zwei Wochen unter Quarantäne. Schließen musste auch das Hotel, indem die Frau genächtigt hatte.

Ähnlich ein Fall in Ischgl, Tirol. Hier wurde bei einer neunköpfigen Reisegruppe aus Island nach deren Rückkehr das Virus festgestellt. Auch in diesem Fall fühlen sich die Gastgeber in Österreich zu Unrecht an den Pranger gestellt. Die Ansteckung kann auch in München am Flughafen oder später im Flugzeug erfolgt sein. 

Update am 16. März 2020: Mittlerweile lassen sich eine Vielzahl von Coronavirus-Infektionen auf eine Ansteckung in Ischgl zurückführen. Der Skiort wurde samt des gesamten Paznauntals unter Quarantäne gestellt.
https://www.alpenmag.de/arzt-infiziert-corona-alarm-am-uniklinikum-salzburg/
https://www.alpenmag.de/arzt-infiziert-corona-alarm-am-uniklinikum-salzburg/

München und Bayern sind das zweite Epizentrum der Corona-Epidemie in Deutschland. Allein gestern hat das Bayerische Gesundheitsministerium vier (!) aktuelle Pressemitteilungen veröffentlicht und dabei jedes Mal die Zahlen nach oben korrigiert.

Udpate: Gesundheitsminister Spahn widerspricht indirekt dem RKI

Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn hat indirekt dem Robert Koch-Institut widersprochen, das am Freitag auch Südtirol zum Corona-Risikogebiet erklärt hatte. Am Rande eines Treffens der EU-Gesundheitsminister riet Spahn am Samstag nur von Reisen „in die besonders betroffenen Regionen“ in Italien ab, also insbesondere in die Lombardei, und sprach damit keine Reisewarnung für ganz Italien aus. Gleichzeitig rief der aus Nordrhein-Westfalen stammende CDU-Politiker alle Bürgerinnen und Bürger dazu auf, auf nicht-dringende Reisen nach Nordrhein-Westfalen zu verzichten. NRW ist derzeit die deutsche Krisenregion und hat am meisten Corona-Patienten zu verzeichnen..

Das Robert Koch-Institut in Berlin Foto: RKI

Das Robert Koch-Institut

Das Robert Koch-Institut (RKI) ist ein Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Das RKI ist die zentrale Einrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und -prävention und damit auch die zentrale Einrichtung des Bundes auf dem Gebiet der anwendungs- und maßnahmenorientierten biomedizinischen Forschung. Die Kernaufgaben des RKI sind die Erkennung, Verhütung und Bekämpfung von Krankheiten, insbesondere der Infektionskrankheiten. Zu den Aufgaben gehört der generelle gesetzliche Auftrag, wissenschaftliche Erkenntnisse als Basis für gesundheitspolitische Entscheidungen zu erarbeiten. Vorrangige Aufgaben liegen in der wissenschaftlichen Untersuchung, der epidemiologischen und medizinischen Analyse und Bewertung von Krankheiten mit hoher Gefährlichkeit, hohem Verbreitungsgrad oder hoher öffentlicher oder gesundheitspolitischer Bedeutung. Das RKI berät die zuständigen Bundesministerien, insbesondere das Bundesministerium für Gesundheit (BMG), und wirkt bei der Entwicklung von Normen und Standards mit. Es informiert und berät die Fachöffentlichkeit sowie zunehmend auch die breitere Öffentlichkeit. Im Hinblick auf das Erkennen gesundheitlicher Gefährdungen und Risiken nimmt das RKI eine zentrale „Antennenfunktion“ im Sinne eines Frühwarnsystems wahr.