Healing Response: Neue Hoffnung bei Kreuzbandriss
München (Bayern, 20. Juni 2019) – Kreuzbandriss – für die Patienten heißt das in Regel: Operation und anschließend eine monatelange Physiotherapie, bis das Knie wieder belastbar ist. Eine schonendere Alternative ist das sogenannte Healing Response. Dabei wird das verletzte Kreuzband mit kleinen Stichen zur Selbstheilung angeregt. Vorteil: Statt einer großen OP ist nur ein kleiner Eingriff notwendig, es wird keine künstliche Plastik eingesetzt und die Heilungszeit wird damit deutlich verkürzt. Allerdings: Der Eingriff muss schnellstmöglich erfolgen, um den gewünschten Erfolg zu haben, also innerhalb der ersten zwei Wochen nach der Verletztung.
Neu ist die Methode des Healing Response nicht – aber bisher noch wenig angewendet. In der Vergangenheit wurde Healing Response als Behandlungsmethode unterschiedlich bewertet. Kniespezialist Richard Steadman aus Vail in Colorado war es, der in den 90er Jahren die Methode vermehrt angewendet hat und 2002 seine erste Studie zur Versorgung mit einem Healing Response durchgeführt hat: Die Erfolgsquote mit über 80 Prozent bei frisch gerissenen oder angerissenen Kreuzbändern erregte überall Aufsehen.
Das Prinzip der Healing Response
Professor Dr. Peter Diehl ist Facharzt für Orthopädie sowie Chefarzt der minimalinvasiven Schulter- und Kniegelenkschirurgie am Orthopädiezentrum München Ost (OZMO) und hat schon viele Kreuzband-OPs erfolgreich durchgeführt. „Healing Response ist eine arthroskopische Operationsmethode. Hier wird über spezielle Techniken eine Blutung im Ursprung des Kreuzbandes induziert, damit es über eine Stammzellreaktion oder Vernarbung zu einer verstärkten Heilung kommt. Wir setzen also durch kleine Stiche einen Heilungsprozess in Gang.“
Das Kreuzband wird also neu angeregt. Nach dem Setzen der beiden Arthroskopie-Vorgänge werden zunächst eventuelle Begleitverletzungen versorgt, z.B. an Meniskus oder am Knorpel. Danach erfolgt die Anregung des Kreuzbandstumpfes oder der noch vorhandenen Restfasern zur Selbstheilung. Dazu wird der Knochen an der Stelle, an der das Kreuzband typischerweise ausreißt, mit einem kleinem speziellen Bohrer angefrischt und das Kreuzband in seine anatomische Ansatzstelle im Oberschenkelbereich zurückgelegt. Dadurch treten mit dem Blut Stammzellen aus dem Knochenmark aus, wodurch das Kreuzband über ein stabil entstehendes Narbengewebe wieder am Knochen anwachsen kann.
Neben dem Erhalt der Sehne und der schnelleren Rekonvaleszenz ist ein weiterer Vorteil, dass auch häufig vorliegende Begleitverletzungen sofort therapiert werden können, wie zum Beispiel Meniskusrisse.
„Außerdem ist es oft möglich, bei der Healing Response die noch vorhandenen Nerven im Kreuzbandstumpf zu erhalten“, so Prof. Diehl. Das ist wichtig, denn diese Nerven sind zuständig für die Propriozeption, die bei der umliegenden Schutz- und Stützmuskulatur Reflexe auslöst. Dies heißt: Bei einer Verdrehung spannt die Muskulatur reflexartig an und schützt dadurch Kniestrukturen.
Voraussetzungen für eine Healing Response
Prof. Diehl: „Warten Sie nicht länger als unbedingt nötig!“ Optimal ist es, innerhalb der ersten beiden Wochen nach der Verletzung zu operieren. „Aus unserer Erfahrung zeigt sich, je jünger ein Patient ist, desto höher ist die Chance, dass diese Methode zum Erfolg führt. Möglich ist der Eingriff bis zu sechs Wochen nach der Verletzung“, so Prof. Diehl. Später wird normalerweise eine Healing Response nicht mehr durchgeführt und stattdessen eine Kreuzbandplastik vorgenommen, wofür normalerweise eine gesunde Sehne aus dem Kniegelenksbereich genommen wird.
Ideal für diese Art Behandlung ist laut Prof. Diehl eine Teilruptur bei weitgehend erhaltenem Synovialschlauch – das ist die dünne Hülle um das Kreuzband, das dann als Leitstruktur fungiert. Aber das vordere Kreuzband kann auch stark eingerissen oder komplett abgerissen sein. Noch erhaltene Kreuzbandfasern beeinflussen die Heilung in jedem Fall positiv. Entscheidend ist, wo das Band gerissen ist – eine Healing Response kann nur dann durchgeführt werden, wenn das Kreuzband direkt am Oberschenkel ausgerissen ist. Eine weitere Voraussetzung für eine OP ist auch ein sonst gut erhaltender Kreuzbandstumpf.
Nachbehandlung einer Healing Response
Das Bein darf mehrere Wochen (meist 4 bis 6 Wochen) nicht gestreckt werden, es wird nach der OP eine um ca. 20 Grad gebeugte Position verordnet beziehungsweise für circa 3 Wochen ruhiggestellt. Der Grund: In vollkommener Streckung steht das Kreuzband ständig auf Spannung und könnte so nicht störungsfrei heilen. Die Beugung wird im Verlauf auf 90 Grad begrenzt. Für diese Zeit trägt der Patient eine Kniegelenksorthese. Das Bein kann trotz dieser Bewegungseinschränkung aber meist nach kurzer Zeit schon richtig belastet werden.
Die Schutz- und Stützmuskulatur muss genauso zügig aufgebaut werden wie bei einer herkömmlichen OP, um das Kreuzband und das Kniegelenk zu schützen und zu stabilisieren.
Prof. Diehl: „Bei meinen Patienten liegt die Erfolgsquote bei über 80 Prozent. Die Operation ist mit einem wesentlich geringeren Trauma als bei einer Kreuzbandplastik verbunden. Der Betroffene ist deutlich schneller wieder arbeits- und sportfähig. Ein weiterer Vorteil ist, dass die vorliegenden Begleitverletzungen sofort mittherapiert werden können.“