„So ein Theater“: Marionetten aus Böhmen und Mähren verzaubern München
München (Bayern, 7. Januar 2024) – „… und dann hat der Kasperl mich plötzlich angelächelt“, erinnert sich Anita Naefe an den Augenblick im Jahr 1999, der ihr Leben verändert hat. Mittlerweile hat die leidenschaftliche Sammlerin über tausend historische Marionetten aus Böhmen und Mähren zusammengetragen und zum Teil liebevoll restauriert. In der Sonderausstellung „So ein Theater! Marionetten aus Böhmen und Mähren aus der Sammlung Naef.“ zeigt das Sudetendeutsche Museum in der Alfred-Kubin-Galerie im Sudetendeutschen Haus in der Hochstraße 8 in München noch bis zum 13. Februar über 200 dieser Kunstwerke. Der Eintritt ist frei.
Erstmals in einer Ausstellung dabei ist auch der Kasperl, der Anita Naefe damals den Kopf verdreht hat. Aber der Reihe nach. Ihrer Mutter sei es damals nicht gut gegangen, erinnert sich die pensionierte Lehrerin an den Auftakt ihrer Sammelleidenschaft im Jahr 1999. Um auf andere Gedanken zu kommen, habe sie einem befreundeten Flohmarkthändler in Bad Kötzting einen Besuch abgestattet.
„In seinem Laden habe ich nichts Passendes gefunden. Er hat dann kurzerhand die Tür zu seinem Heiligtum geöffnet, einen Raum mit Antiquitäten, die eigentlich nicht zum Verkauf bestimmt waren. Und dort hingen 17 Marionetten an einem Besenstil“, erzählt die Niederbayerin.
Fünf davon nahm sie gleich mit – darunter auch den Kasperl. „Daheim habe ich ihn geputzt. Dabei hat sich auch sein mechanischer Mund geöffnet, und er hat mich angelächelt. Das hat etwas in mir ausgelöst“, so Anita Naefe.
Man nächsten Tag fuhr sie wieder von Viechtach nach Bad Kötzting und erstand fünf weitere Marionetten. Und am Tag drei ihrer Sammelleidenschaften folgten die restlichen sieben.
Wenig später entdeckte sie in einem Antiquitätengeschäft im westböhmischen Taus ihre erste Bühne mit Kulissen und Vorhang. Ihr Mann Hartmut, den sie mit ihrer Sammelleidenschaft ansteckte, baute die Marinettenbühne daheim auf und illuminierte sie stimmunngsvoll. Mittlerweile ist die Sammlung des Ehepaares Naefe so umfangreich geworden, dass die Einliegerwohnnung zum privaten Marionetten-Museum umfunktioniert wurde.
Regelmäßig leiht das Ehepaar seine schönsten Exponate auch für Ausstellungen aus – bis auf eine Ausnahme: „Meinen Kasperl habe ich noch nie hergegeben, aber für das Sudetendeutsche Museum mache ich jetzt eine Ausnahme. Auch er ist dort zu sehen“, erzählt die Sammlerin.
2019 und 2020 waren Naefes Marionetten-Schätze in Viechtach zu sehen. Und besonders gern erinnert sich das Ehepaar an seine Ausstellung in der Stadt Barth in Mecklenburg-Vorpommern, die sich zufällig ergab. Den dortigen Museumsleiter hatten sie während eines Ostsee-Aufenthaltes kennengelernt.
Beim zwanglosen Gespräch über Marionetten und speziell über die Figuren Spejbl und Hurvínek kam man sich rasch näher und vereinbarte eine halbjährige Ausstellung, die schließlich um drei Monate verlängert worden war. Der große Erfolg in Barth, so Hartmut Naefe, liege in der Vergangenheit der DDR begründet.
Das staatliche Fernsehen zeigte damals die Abenteuer der tschechischen Puppen Spejbl und Hurvínek „rauf und runter“. Auch die Liebe zum Marionetten-Theater war dort – wie in Tschechien – sehr ausgeprägt. Außerdem hat die DEFA 1954 den Pole Poppenspäler in Barth verfilmt. „Da waren viele Statisten dabei, die sofort Feuer und Flamme für unsere Exponate waren“, erinnert sich Hartmut Naefe.
Überhaupt war das Marionetten-Theater früher weniger zur Bespaßung von Kindern gedacht, sondern diente vielmehr Erwachsenen als Unterhaltungs- und Informationsplattform. Besonders populär war das Puppenspiel ab dem 17. Jahrhundert in Böhmen. Das Repertoire der Wandertheater bestand vorwiegend aus Klassikern der Literatur, der Oper und den zeitgemäßen Werken der Comedia dell’Arte. Doktor Faustus und Don Juan zählten in diesen Zeiten zum Standard-Programm. Märchen, wie man sie heute auf den Spielplänen der Marionetten-Theater findet, wurden nur selten aufgeführt.
Die beliebtesten Stücke, die damals auf Jahrmärkten und Volksfesten aufgeführt wurden, waren gespickt mit Spott und Hohn gegenüber dem Adel und der Kirche. In Böhmen entwickelte sich daraus die Rolle des Kasperl (Kašpárek), dessen loses Mundwerk das Publikum begeisterte und der immer wieder die Arroganz und Dekadenz der Obrigkeit anprangerte. Josef Skupa, der Erfinder der Figuren Spejbl und Hurvínek, ließ seine Protagonisten deshalb bewusst die damals klassischen Konflikte ausleben. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wandelte sich das Marionetten-Theater und richtete sich mehr und mehr an die kleinen Zuschauer.
In der Ausstellung „So ein Theater!“ geht es also um mehr als nur um Puppen. Die Marionetten, die das Ehepaar Naefe in den vergangenen Jahrzehnten zusammengetragen und restauriert hat, sind Zeugnisse der damaligen Gesellschaft. Deshalb hoffen die beiden Mitsiebziger, dass ihre großartige Sammlung nachhaltig gesichert und von einem Museum übernommen wird.