Goliath gegen David: Wie ein Mediengigant gegen ein Familienunternehmen zu Felde zieht

München (Bayern, 23.02.2022) – Beim Wort „Observer“ meldet Google mehr als 160 Millionen Treffer. Observer, auf deutsch Beobachter, ist rund um den Globus ein Allerweltsbegriff – nur anscheinend nicht im Glaspalast am Regent’s Canal im feinen London, dem Sitz der Guardian News & Media Limited, die unter anderem die Sonntagszeitung „The Observer“ herausgibt. Wegen einer angeblichen Verwechselungsgefahr hat der Medien-Goliath schwere juristische Geschütze gegen den Medien-David „Observer Gesundheit“ aufgefahren. Der Fall liegt jetzt beim Bundespatentgericht und könnte grundsätzliche Auswirkungen auch für andere Unternehmen in Deutschland haben.

Ortswechsel: In Bonn hat Prof. Dr. Andreas Lehr ein kleines Familienunternehmen aufgebaut. Seit 2004 liefert seine Agentur für Gesundheitspolitische Information mit einer Datenbank namens „Observer“ exklusive Nachrichten und Hintergrundberichte für Entscheidungsträger in Verbänden und Unternehmen. Im Jahr 2018 kam „Observer Gesundheit“ hinzu, eine Fach-Website mit gesundheitspolitischen Kommentaren, Analysen, Szene- und Managementbeiträgen. So entstand mit viel Aufwand eine integrierte Website mit nationalem gesundheitspolitischen Fokus.

Viele Jahre hat man sich auch im feinen London nicht an der kleinen Firma im fernen Bonn gestört. Warum auch? In London nennt man sich schließlich nicht einfach „Observer“, sondern „The Observer“. Und auf der ganzen Welt gibt es sogar Zeitungen, die den Begriff „Observer“ im Titel haben. Verwechslungsgefahr? Fehlanzeige.

Auslöser für den Großangriff aus London ist eine Formalie. Am 16. Oktober 2017 meldet Lehr sein Produkt „Observer Gesundheit“ beim Deutschen Patent- und Markenamt zur Eintragung an – was allgemein üblich ist. Und am 10. November 2017 erhält Lehr die entsprechende Urkunde. Alles gut? Nicht für den Mediengiganten aus London. Über eine Anwaltskanzlei in Düsseldorf reicht der Medienkonzern am 26. Februar 2018, kurz vor Ablauf der dreimonatigen Frist, Widerspruch ein. Die Begründung: Mit „Observer Gesundheit“ würde Lehr die Marke „The Observer“ missbrauchen – was kaum nachvollziehbar ist, da allein in Deutschland 22 Marken beim Deutschen Patent- und Markenamt registriert sind, die das Wort „Observer“ im Namen tragen.

Beim Deutschen Patent- und Markenamt knickt man jedoch umgehend vor den Anwälten der Guardian News & Media Limited ein und löscht am 26. Juni 2019 die Marke „Observer Gesundheit“. Familienunternehmer Lehr lässt sich das nicht gefallen und zieht, nachdem sein Widerspruch vom Deutschen Patent- und Markenamt am 6. Juli 2020 zurückgewiesen worden ist, vor das Bundespatentgericht in München. Eines seiner Argumente: Mit „Observer 4.0 – Management Information System Gesundheitspolitik“ besitzt er eine zweite Marke, die den Begriff „Observer“ im Namen trägt – die oben bereits erwähnte Datenbank. Und diese Marke wird anstandslos vom Deutschen Patent- und Markenamt eingetragen – ohne Widerspruch aus London, obwohl sie zeitgleich mit „Observer Gesundheit“ angemeldet wird. 

Prof. Dr. Andreas Lehr und Rechtsanwalt Klaus Hovemeyer vor dem Bundespatentgericht in München

In der mündlichen Verhandlung am 25. Januar 2022 gibt der Vorsitzende Richter beiden Parteien mit auf den Weg, einen Vergleich auszuhandeln. Doch obwohl Prof. Dr. Andreas Lehr umgehend ein konkretes Angebot vorlegt und sich bereit erklärt, auf eine eigene Markeneintragung zu verzichten, antwortet der Medien-Gigant nur mit Ausflüchten. Mal hat man sich mit der Sache noch nicht beschäftigen können, mal war die zuständige Sachbearbeiterin an Corona erkrankt. 

Offenbar spielen die finanzstarken Londoner auf Zeit, um doch noch ein höchstrichterliches Urteil zu bekommen, was dann auch für andere Unternehmen grundsätzliche Bedeutung haben könnte. „Es besteht die konkrete Gefahr, dass große Unternehmen ihre Markenmacht missbrauchen und kleine Firmen mit juristischen Mitteln platt machen“, warnt Prof. Dr. Andreas Lehr, der darauf hofft, dass das Gericht diesen Aspekt mitbeachtet. Lehr: „Ich habe mir als Familienunternehmer viele Jahre eine Marke aufgebaut. Diese Arbeit droht mit einem Schlag vernichtet zu werden, wenn das Recht sich auf die Seite Goliaths schlägt.  Keiner meiner Leserinnen oder Leser denkt bei ,Observer Gesundheit‘ an eine Sonntagszeitung in London.“